Kunstpause

es passiert... nichts!

Seit mittlerweile 20 Jahren bewege ich mich in der Chorszene, also etwas mehr als mein halbes Leben lang. Es braucht wohl keine weiteren Ausführungen wenn ich sage, dass ich in dieser Zeit schon viel erlebt habe.

Doch das Jahr 2020 stellt alles in den Schatten. Denn im Jahr 2020 passiert einfach... nichts! Das Weltgeschehen sagt natürlich was anderes, das will ich auch gar nicht in Abrede stellen. Aber dies ist andernorts unendlichfach diskutiert und auch hierbei weiss man eigentlich noch immer... nichts! Oder zumindest viel zu wenig.

Aber das ist mein Blog, der die Sicht eines Chorleiters und Sängers zeigt. Und da macht das Jahr einfach mal Pause. Natürlich: Wir proben, veröffentlichen Videos, planen und überlegen, arrangieren, verschieben... Ich verbringe mindestens so viel Zeit wie sonst auch mit der Musik und meinen Chören. Nur ist trotz dem Aufwand fast kein Ergebnis sichtbar. Chorgesang im üblichen Rahmen ist aktuell zu riskant.

Ein Jahr auf Pause

Chorgesang ist absolut faszinierend. Meist sind es ziemlich viele Leute, die in ihrem Leben völlig Unterschiedliches tun und ganz unterschiedliche Geschichten haben. Doch dies alles spielt dann keine Rolle mehr, sobald man im Chor steht und miteinander singt.

Dabei entsteht etwas, was die oder der Einzelne alleine nicht schaffen könnte. Ein kleines, unbedeutendes und vergängliches Kunstwerk. Aber für alle, die dabei sind, ist es in dem Moment bedeutungsvoll und unersetzlich.

Ein wichtiger Teil dabei ist die Nähe, welche die nötige Verbundenheit schafft. Auch wenn es im grossen Chor kaum möglich ist, alle zu hören; es ist möglich, alle zu spüren. Dies ist ein Teil der Magie, den vielleicht auch nur Menschen verstehen, die dasselbe Fieber haben. Kein gefährliches Fieber natürlich, sondern das Chorfieber.

Mit Abstand geht hier zu wenig

Wir alle haben uns in den letzten Monaten im Distanz halten geübt. Die Magie des Chorgesangs bleibt dabei zu einem grossen Teil auf der Strecke. All die virtuellen Videos sind lustig. Es hat Spass gemacht, sie zu produzieren. Das erste gemeinsame Singen draussen im Parkhaus mit ganz viel Abstand war schön, einfach weil man wenigstens ein wenig musikalische Harmonie entstehen lassen konnte.

Aber mit der vorher beschriebenen Kunst oder Magie hat all das nichts zu tun. Es fehlt das Kreative, also das Erschaffende. Dies ist mal in Pause. Für wie lange kann leider niemand sagen.


An Chorgesang in dieser Art ist zur Zeit aufgrund der Schutzmassnahmen nicht zu denken.


Chormusik virtuell? Für einmal ja ganz toll, aber zu viele Aspekte bleiben auf der Strecke.


Relation

Ich sehe die Relationen natürlich. Wir sind absolut priviligiert, in der Schweiz leben zu dürfen. Und es ist wohl ein kleines Problem im ganzen Universum, wenn Chöre nicht mehr so singen können, wie sie es gewohnt sind. Die Wichtigkeit des Chorgesangs muss in Relation gestellt werden. Die Kultur überhaupt muss in Relation gestellt werden. Auch der Umgang mit Viren muss in Relation gestellt werden. Die Frage bei all dem ist, in Relation zu was? Zum persönlichen Empfinden? Zum Überlebensmodus? Zur Meinung von Experten?

Diese Fragen bleiben mir selbst vorerst unbeantwortet. Darum schwelge ich gerne in Erinnerungen und lasse mir Aufzeichnungen zu Gemüte führen, auch wenn diese – leider und zugleich zum Glück – nicht annähernd das Glücksgefühl von Live-Konzerten wiedergeben können.

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Kommentare: 3
  • #1

    Christof E. (Sonntag, 23 August 2020 16:08)

    Sehr schöner Text. Danke für das Teilen deiner Gedanken ...

  • #2

    MariegJeanne (Sonntag, 23 August 2020 16:50)

    Du sprichst mir aus dem Herzen! Es ist UNERSETZBAR gemeinsam zu singen und zu erschaffen! Hoffe auf ein baldiges "Ende"!
    Glg mj

  • #3

    Giuseppe Confalone (Dienstag, 25 August 2020 18:22)

    Du hast das sehr schön und treffend geschrieben. Das Fieber hat auch mich gepackt - obwohl ich erst seit etwas über 3 Jahre im Chor mitsinge. Es sind die Gänsehautmomente, wenn ein perfekter Akkord dich für einen Moment woandershin katapultiert. Es sind die Momente, bei denen du trotz der strengen Konzentration in den Gesichtern der Sängerinnen und Sänger siehst, wie zufrieden sie gerade sind. Es sind die Momente, in denen du dazugehörst und dich vom Gesang aller einfach mittragen lassen kannst. Singen ist Seelenarbeit, hatte mir eine Bekannte vor langer Zeit gesagt. Und nun durfte ich es selber erleben. Es ist ein heilsames Fieber und genauso wie das Virus, wird auch dieses nicht vergehen. Nur warten müssen wir und uns darin üben, mit Ungewissheit umzugehen.